Drei Wochen vor Abgabefrist meiner Diplomarbeit saß ich am Schreibtisch meines 12 qm-Zimmerchens mit Dachschräge, draußen waren es – wie in Konstanz im Sommer üblich – 35 Grad. Vor mir ein weißes Blatt Papier, ein dicker Ordner Probandendaten und eine Festplatte mit MEG-Daten, deren Auswertung 24 h vorher von unserem Großrechner ausgespuckt worden war.

Hinter mir lagen eineinhalb Jahre der theoretischen Vorbereitungen, Messungen, Datenvorverarbeitungen und endlosen Versuche, die Quellenlokalisation meiner MEG-Daten zum Laufen zu bekommen. Jetzt endlich war also alles da – aber nur noch 3 Wochen Zeit, um die Arbeit auch tatsächlich zu schreiben. Ein Grund zur Panik?

Wenn meine Klienten über das Schreiben einer wissenschaftlichen Arbeit sprechen, dann klingt das meist so: „Ich habe eine Arbeit zugeteilt bekommen, bei der ich aktuell die Daten erhebe und bald mit der Auswertung beginnen möchte. Mein Chef hat mir geraten, parallel schon einmal mit dem Schreiben der Einleitung zu beginnen. Daher suche ich gerade Hintergrundliteratur und arbeite die Stück für Stück in den Text ein. Sobald ich die Einleitung fertig habe, schaue ich, was bei der Datenauswertung rauskommt, schreibe die Ergebnisse auf, dann den Methodenteil, weil der so kompliziert ist, und ganz zum Schluss schreibe ich die Diskussion“.

 

Klingt auf den ersten Blick plausibel – ist aber falsch.

 

Eine gut geschriebene wissenschaftliche Arbeit ist ein harmonisches, organisches Wesen, ein sich in das Flussbett schmiegender Wasserstrom, auf dem wir dahinsegeln, ein Erdbeersorbet, das auf der Zunge zergeht. Eine schlecht geschriebene Arbeit ist eine Eiswüste, durch die man sich schrittweise durchquält und in der man nur noch hofft, die Strecke trotz Sturm und Dunkelheit zu überwinden, um bald am warmen Kamin zu sitzen. Warum?

Wer beim Verfassen seiner wissenschaftlichen Arbeit mit dem Schreiben der Einleitung beginnt, noch bevor er weiß, was überhaupt bei der Studie herauskommt, der begibt sich schon zu Beginn des Schreibprozesses in die Startlöcher für seine ganz persönliche Polarexpedition, denn schon an dieser Stelle wird der organische Fluss der Arbeit zerstört.

Vielleicht hat man Glück und es kommt zufällig genau das zur Einleitung passende Ergebnis heraus, besonders wahrscheinlich ist das aber nicht. Viel wahrscheinlicher ist es, dass der Autor, weil er eben nicht weiß, in welche Richtung er genau schreiben soll, in allem sehr vage bleibt, ein Thema nach dem anderen abhakt und am Ende ein in der Luft hängendes Forschungsthema definiert, das untersucht werden soll. Wenn es gut läuft, werden an den Schluss der Arbeit noch ein paar Hypothesen geklatscht – und das war‘s.

 

 

Hypothesen formulieren –  wann wie wo?

 

Ganz anders läuft es dagegen, wenn man die Datenauswertung schon hinter sich hat, Hypothesen geprüft wurden, weiß, ob sie bestätigt wurden oder nicht, und sich anhand der Ergebnisse einen roten Faden ziehen kann, der in der gesamten wissenschaftlichen Arbeit verfolgt wird. Was ich damit meine?

Stellt euch vor, ihr habt vor Beginn der Masterarbeit Hypothesen bekommen oder, noch besser, selbst definiert. Im Anschluss habt ihr die Fragestellungen in zu testende Variablen operationalisiert und in ein Studiendesign überführt. Die Daten werden erhoben und ausgewertet. Daraus resultiert am Ende ein festes Set an Ergebnissen, von dem ihr genau wisst, ob es zu euren initialen Hypothesen passt oder nicht.

Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit ist es nun so, dass die Ergebnisse eure Hypothesen nicht 1:1 bestätigen. Vielleicht sind die Ergebnisse sogar gänzlich anders und eure Hypothesen waren falsch, vielleicht wurden aber auch nur einzelne Kernhypothesen bestätigt und andere nicht. In jedem Fall werden die Ergebnisse aber nicht mehr zu eurer Einleitung passen, die wahrscheinlich ohnehin schon eher vage formuliert wurde – eine mühselig zu lesende Kombination.

 

Was also tun?

 

Zuerst legt ihr die Einleitung beiseite und zwar weit, weit weg. Ihr solltet nicht einmal in die Versuchung kommen, an ihr weiterzuschreiben. Da es sehr wahrscheinlich ist, dass ihr, wie oben beschrieben, euer Forschungsthema nicht selbst entwickelt, sondern zugeteilt bekommen habt, wird euch zu diesem Zeitpunkt noch die theoretische Hintergrundarbeit zu eurem Thema fehlen, d. h., ihr habt noch keinen Überblick zum aktuellen Stand der Forschung, ihr wisst nicht, was andere Gruppen gemacht haben und welche Ergebnisse bisher vorliegen.

Das ist sehr wahrscheinlich auch der Grund, warum euer Betreuer oder eure Betreuerin von euch wollte, dass ihr die Einleitung beginnt – sie hilft euch, einen Überblick über die aktuelle Literatur zu bekommen. Grundsätzlich eine gute Idee, ABER wenn ihr jetzt einfach aufschreibt, was ihr lest, und die zu untersuchenden Themenbereiche einfach blockweise in der Einleitung ablegt, dann wird der Text kein leckeres Erdbeersorbet, sondern ein gnatschiger Kaugummi unter dem Schuh des Lesers.

 

So klappt die Literaturrecherche

 

Ihr werdet also stattdessen Excel öffnen und zu jedem Unterthema, das in eure Arbeit einfließt, einen neuen Tab öffnen. Dann schreibt ihr zu jedem Themenblock die Ergebnisse eurer Literaturrecherche auf – Studie für Studie und immer unter den folgenden Aspekten:

– Wie passt das zu meinem Thema?

– Was sind die Ergebnisse?

– Welche methodische Einzelheiten wurden genannt?

 

Schritt für Schritt zum Überblick

 

So bekommt ihr Schritt für Schritt einen sehr guten Überblick über euer Thema, der komprimiert und leicht zugänglich vor euch liegt und später zu einer Story zusammengesetzt werden kann. Wahrscheinlich fällt es euch jetzt auch deutlich leichter, die vorab festgelegten Hypothesen zu verstehen, und vielleicht regt dieses Vorgehen sogar an, diese noch etwas abzuändern (aber immer VOR der Datenauswertung!).

Da die Literaturrecherche ihre Zeit braucht, liegen die Daten wahrscheinlich mittlerweile schon vor und ihr könnt mit der Auswertung beginnen. Euer großer Vorteil ist nun, dass ihr wahrscheinlich einen ziemlich guten Überblick über die theoretische Ausgangslage habt und implizit sogar einen internen Fahrplan entwickeln konntet, anhand dessen ihr die Datenauswertung ganz straight durchziehen könnt.

Ihr werdet euch jetzt also anhand des in der Literaturrecherche gewonnenen Wissens durch die Datenanalyse hangeln und versuchen, zielgerichtet eure Hypothesen durchzuarbeiten. Wenn nun also ein nicht-hypothesenkonformes Ergebnis auftritt, wird es deutlich einfacher sein, dieses Ergebnis in die Ergebnisse der Literaturrecherche zu integrieren und in eure Story einzubetten. Ihr werdet also schon jetzt alternative Erklärungsideen entwickeln, die ihr wiederum in der Diskussion verarbeiten könnt – eine Steilvorlage für ein abgerundetes und interessantes Ende eurer wissenschaftlichen Arbeit.

Ihr seht also: Eine interessante wissenschaftliche Abhandlung zu schreiben, ist zwar nicht ganz einfach, aber auch kein Hexenwerk. Die einzelnen Teile ergeben sich aus dem Fluss der Arbeit heraus, sie bedingen einander und wachsen organisch, wenn man es richtig anstellt.

 

Welche Rolle spielt nun die Statistik?

 

Welche Rolle spielt nun die Statistik? Sie wird euch zum einem dabei helfen, eure Fragestellungen zu beantworten, zum anderen wird sie aber auch das Hilfsmittel dazu sein, eine richtige Argumentationslinie aufzubauen. Denn die Statistik hat die Möglichkeit, auch Alternativansätze zu überprüfen. Jedes Argument, das ihr anbringen möchtet, könnt ihr mit dem geeigneten statistischen Verfahren absichern. Ihr werdet mithilfe der Statistik also eine elegante Architektur aus Argumenten bauen können, die die Grundlage eures gesamten Manuskriptes bildet.

Und da wären wir nun wieder bei der Einleitung. Ihr habt also bis hierher euren theoretischen Unterbau gebildet. Dann habt ihr die Daten analysiert und eure Hypothesen bestätigt oder widerlegt. Anhand der Ergebnisse, die ihr nun wunderbar in die Literatur integrieren könnt, habt ihr die Architektur eurer Argumentationsstruktur aufgebaut und habt nun die Möglichkeit, eine elegante, gut strukturierte und auf euer Forschungsthema zugeschnittene, schlüssige Einleitung zu schreiben, die schon vorab alle für die Interpretation eurer Ergebnisse notwendigen theoretischen Hintergründe berücksichtigt – TATA!

 

Erst der Ergebnis- und Methodenteil, dann die Einleitung

 

Bevor ihr die Einleitung aber schreibt, beginnt erst mit dem Ergebnis- und dem Methodenteil. Wenn diese Herzstücke des Manuskripts vorliegen, dann schreibt ihr die Diskussion, in der ihr eure Ergebnisse besprecht und im Licht der für die Einleitung schon vorgesehenen Literatur diskutiert, und dann – ganz am Schluss – schreibt ihr eine kurze, knackige Einleitung, die elegant auf euer Thema und eure spezifische Fragestellung hinführt.

Und schon habt ihr anstelle eurer persönlichen Polarexpedition eine elegant dahinfließende wissenschaftliche Arbeit geschrieben, die den Leser an die Hand nimmt und ihn Schritt für Schritt hindurch geleitet. Ich liebe es!

In meiner Dachkammer habe ich es genauso gemacht – 14 h am Tag, 3 Wochen lang. Da ich den theoretischen Unterbau schon vorab erledigt hatte, konnte ich meine Ergebnisse zielgenau einpassen und mich in Abstimmung mit meinem Betreuer vom Ergebnisteil und den Methoden über die Diskussion bis zur Einleitung vorarbeiten. Es ist dabei relativ egal, ob ihr wie ich eine relativ kurze Arbeit als Vorbereitung einer späteren Publikation schreibt oder eine sehr lange Masterarbeit oder sogar Dissertation. Das Vorgehen ist immer das Gleiche.

 

Eine wissenschaftliche Arbeit ist nicht einfach – aber machbar!

 

Wichtig ist dabei immer zu wissen: Wissenschaftliches Schreiben ist nicht einfach. Ich hätte mich in diesen 3 Wochen immer wieder gern in den Bodensee gelegt, um am Grund nach Goldstücken zu tauchen oder was auch immer. So ziemlich alles wäre netter gewesen als zu Schreiben. Aber da das nicht zur Diskussion stand, habe ich es durchgezogen. Und am Ende kam ein schönes Manuskript heraus, das die Grundlage für eine Publikation gebildet hat, die sogar als Titelstory des veröffentlichenden Journals veröffentlicht wurde. Es hat sich also gelohnt. Und wenn ich das kann, könnt ihr es auch.

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